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                                                                                                                                                             F.E. Rakuschan

Trostgeschichten fürs Prekariat


In der Vorwahlzeit der Wiener Gemeinderatswahlen kündigte Kulturstadtrat Mailath-Pokorny ein neues Fördermodell an, das auf Basis einer Software vorsieht, dass "Förderentscheidungen ohne Kurator oder Jury, adäquat zum Wesen der Netzkultur partizipatorisch und egalitär getroffen (werden)" (Stadt Wien, 8.7.2005). Die eigentliche Idee eines Big Brother Controlling-Tools ist noch nicht vom Tisch.


Kein Führungskräfte-Seminar ohne dem Hinweis, dass der Mensch als Störfaktor gesehen werden muss. Beruhigend die Zusicherung seitens der Molekularbiologie, dass das Aussterben der Spezies Mensch ohnehin genetisch vorprogrammiert ist. Weil sich das aber noch eine Weile hinziehen kann, werden wir uns mittlerweile im Kräftefeld sozialer Produktionsfaktoren wie Ressourcen, Arbeit, Finanzkapital und nicht zu vergessen als vierter Faktor dem Wissen weiter herumschlagen müssen. Die USA macht es schon lange vor und weltweit wird heute zum Standard, dass das alles nicht ohne dem Einfluss der Informationsindustrie, der Regierungen und des Militärs geht. Kein Umstand, der generell zu beklagen wäre. Denn diese Einflussnahme zwingt zu Veränderungen in allen sozialen Zusammenhängen und so auch dazu, um darauf pro-aktiv zu reagieren. Schon lästig, dass es wenig Ruhepausen gibt.


Digital Culture ist bspw. so eine Form des Reagierens. Die Zeiten, um dabei bloß an Hacker, Technoschamanen und Cyberpunks zu denken, ist allerdings längst vorbei. So ziemlich alles, was sich heute um Neue Medien dreht, kann unter dieser Bezeichnung subsumiert werden. Oder auch durch die neoliberale Konstruktion Creative Industries ersetzt werden. Der Begriff Kultur ist nur ein leerer Signifikant, der je nach Beobachterposition, hegemonialer Stellung und Bedarf situationsbedingt gefüllt werden kann. Fast alle gesellschaftlichen Funktionssysteme erheben ihren Anspruch darauf. Wer wird schon in Abrede stellen, dass Wirtschaft eine Kulturform ist? Und die New Rules for the New Economy (1998, von Wired-Redakteur Kevin Kelly), ja sogar der "Kult des Schnell-obzön-reich-Werdens" (Bill Keller, Enron for Dummies, New York Times, 26.1.2002) an der Schnittstelle von digitalen Technologien, Deregulierung und Globalisierung verträgt sich auch mit dem Funktionssystem, das vorrangig noch immer mit Kultur assoziiert wird - die Kunst-Kultur. Das trifft inzwischen auch auf Netzkulturen zu, die die Traditionen der Sozio-Kultur mit Nutzung der Neuen Medien weiter fortsetzen. Etwas konkreter, zutreffend auf einzelne Bereiche, wie das prominente Beispiel der Open Source-Bewegung zeigt, die den von Richard M. Stallman und der Free Software Foundation geprägten Begriff "Free Software" in Richtung Wirtschaftlichkeit ausgeweitet hat und längst kommerzielle Erfolge für sich verbuchen kann.


Gewinner und Bauernopfer parteipolitischer Spiele

Wem wunderts, dass bei all der verwirrenden Vielfalt sich die Kulturabteilung MA 7, zuständig für die Förderung von Film, Video und Neue Medien, da manchmal überfordert fühlt. Noch dazu in einer Zeit, wo auch "die großen und die kleinen Chefs gleichermaßen ums eigene Leiberl rennen" (Team-Trainings-Chef Wolfgang Hemel beim Leadership Jour-Fixe). Da braucht es schon einen richtig herzeigbaren Erfolg. Während der Kulturstadtrat Mailath-Pokorny seit Jahren bspw. die internationalen Aktivitäten der Public Netbase als Erfolg seiner Förderpolitik vorzeigen konnte, mussten ehrgeizige kleine Beamte in seinem Schatten verharren. Ein glücklicher Zufall, dass einer kulturpolitischen Referentin der Wiener SPÖ die Netbase schon lange ein Dorn im Auge ist. Einer SPÖ, die sich mittlerweile in der nächsten Regierung wähnt, ist so eine Unternehmung, die mit aller Deutlichkeit gegen Schwarz-Blau Stellung bezogen hat und wie etwa auch das Rotterdamer Institute for the Unstable Media V2 zu den Pionieren in einem noch nicht kommerzialisierten Netz zählt, jetzt ohnehin nur mehr ein Klotz am Bein. Die Umstände sind also günstig. Und so tut sich die kulturpolitische Referentin der Wiener SPÖ (heute Ex) mit der amtierenden Referentin der MA 7 zusammen, um ´ihr Ding zu drehen´.


Ihr Klientel sind weitere Teile der Wiener Netzkultur, deren Kern von den frustrierten Mietern im Q21-Arial des Museumsquartiers gebildet wird. Als Opfer eines dilettantischen Konzepts seitens schwarzer Kulturpolitik, über die Jahre unter der Fuchtel von MQ-Direktor Wolfgang Waldner, ÖVP, schon vollends mürbe geworden, würde dieses Klientel - so der Plan - ohnehin alle Auflagen erfüllen, nur um an Subventionskohle zu kommen. Wiewohl so manchem Mieter ein Platz in einem "zukunftsweisenden Labor" (MQ-PR-Wortlaut früher Tage) verheißen wurde, fand er sich noch nach Jahren nicht an einem erhofften Hotspot junger Kreativität wieder, sondern inmitten einer Neidgemeinschaft, die sich am heimlichen Pisspfad des Q21 immer mehr vergrößert hat.


Das SPÖ-Duo engagierte erstmal Matchmaker aus der Szene, die der Community bestimmte Auflagen verklickern sollen. Ein Typ, Mitglied eines Vereins, der aus dem Umfeld von Radio Orange hervorgegangen ist und ein anderer Typ, der aufgrund seines Nicknames in der Wiener Kunst-Szene mit einem langohrigen Tier assoziiert wird, fungieren auf der Mailinglist liste@netznetz.net erstmal als Sprachrohr der Stadt Wien. Andere Personen, teils stadtbekannte SPÖ-Funktionäre, halten sich weitgehend im Hintergrund.


"Oppositionelles Potenzial wird dem Branding der Stadt unterworfen: Wien ist anders..." (Siegfried Mattl, Historiker)

Neben selbst verschuldetem Zores beider genannten Netzkultur-Teile, trägt die Hauptschuld die Politik ganz allgemein, die Kulturschaffende immer schon zum Spielball parteipolitischer Kämpfe missbraucht hat. Denn wenn die Wiener SPÖ bspw. ohne Ausschreibung stadteigene Grundstücke zu leckeren Konditionen an befreundete Bauträger verscherbelt, wobei laut Rechnungshof zig Millionen Euro verschleudert werden (vgl. Der Standard, 30./31. Juli 2005), dann darf sich sowohl Mailath-Pokorny als auch die MA 7 nicht darüber entrüsten, eines dummen Geredes bezichtigt zu werden, wenn sie Subventionsforderungen mit der Satzformel vom fehlenden Geld abschmettern. Oder anderen Netzkultur-Unternehmungen in Wien sagen, die Netbase hätte schon das ganze Etat verbraucht und so bewusst einen Keil in zivilgesellschaftlich orientierte Segmente treiben. Für die politische Hegemonie ist jedwedes Engagement sogenannter nicht-vermachteter Akteure eine Störung. Nicht nur der Rathausklub der SPÖ ist gut beraten, entgegen den ursprünglichen Plänen sich das Aus für die Netbase nochmals zu überlegen.


Es ist seit Jahren unübersehbar, dass die Stadt Wien ungeniert ihre Begehrlichkeiten nach Einfluss auf minoritäre Trends geltend macht. So wie im Falle von Community-TV bzw. Okto, könnte sie auch bezüglich netznetz.net wieder Scheiße bauen. Das "rot-grüne Vorzeigeprogramm" hatte dereinst einen unabhängigen Stadtfernsehsender in Aussicht gestellt (vgl. http://www.malmoe.org/artikel/funktionieren/918; Falter 22/03, S.19). Heute dirigieren bzw. kontrollieren diese Parteien in trauter Zweisamkeit abwechselnd diesen Sender. Auch netznetz.net wurde schon ein Repräsentationsspektakel für Mitte Dezember 2005 verordnet – das „Sprintosium: Parliaments of Art 05“. Vollends ein Irrwitz, dass mit Wissen des Listbetreibers (//listen.esel.at) und anderen Personen in den eigenen Reihen diverse SPÖler als Lurker die Diskussionen in der Mailinglist verfolgen. Und obwohl der netznetz.net-Aktivist Christoph Theiler als  Alternative zu der von der MA7 forcierten Software „Mana“ das Konzept eines Votingsystems erarbeitet hat, das auf spieltheoretischen Modellen aufbaut, soll entgegen einem Abstimmungsentscheid der Community das neu zu erarbeitete Programm als Hybrid weiterhin ein Controlling-Tool für die MA 7 werden.


Am 18.1.2006 teilte Stefan Lutschinger in seinem Mail, „Subject: Nächste Schritte“, der Community mit, dass bei dem Treffen eines netznetz.net-Personenkomitees mit der MA 7 am 13.1.2006 die Einigung darüber erzielt werden konnte, dass die ursprünglich von Seiten der Stadt gestellte Anforderung, Community Mitglieder hätten sich vor ihrer Teilnahme an der Community-Fördervergabe-Prozedur bei der Behörde zu registrieren, fallen gelassen wird. Fortsetzung folgt.


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Einer Einladung folgend war mein untenstehendes Statement vom Veranstalter IG Kultur Wien zu Fragen der Kulturpolitik im Depot vorerst erwünscht, wurde aber, wie auch die Statements anderer geladener Diskutanten/innen am Podium, nicht wie vereinbart auf der Homepage von IG Kultur Wien für die Ankündigung veröffentlicht. Die Veranstaltung in der Vorwahlzeit der Gemeinderatswahlen (2005) wurde aus Subventionsmitteln der MA 7 gefördert.


Über Details der Verfassung lässt sich streiten. Aber die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verdient uneingeschränkten Zuspruch. Liegt es also tatsächlich nur an den überzogenen Erwartungen, dass die Politik von den Bürgern in saisonaler Regelmäßigkeit negative Umfragewerte erhält? Oder ist es doch die Fixierung aller Governanzregime auf ihre Tagesgeschäfte mit den Verflechtungen und Abhängigkeiten, was als Effekte das Bild der Politik in den Medien permanent generiert. Das mildert auch nicht rhetorische Floskeln über Zukunftsfähigkeit, wenn Politiker/innen quasi selbstvergessen Wörter wie Fairness, Transparenz oder Partizipation in den Mund nehmen. Ist doch evident, dass auch derartige Aussagen nicht an die Bürger, sondern an die Medien adressiert sind. Auch Wahlen sind nur der Nachdruck dessen, was auf der Ebene der ´Beobachtung zweiter Ordnung´ prozessiert wird.


Knapp gefasst: die Politik als Garant für die Steuerung von Kontingenzen ist seit Jahrzehnten schwer in der Krise. Anders wie etwa der Wirtschaft gelingt es ihr nicht, adäquates Verhalten gegenüber den ´neuen Umwelten´ zu entwickeln. Ordnungsvorstellungen, wie sie seit mehr als drei Jahrzehnten in den Komplexitätswissenschaften verhandelt werden, rücken – wie ein aktuelles Beispiel (netznetz.net) aus dem Wiener Subventionszirkus zeigt – nur sehr zögerlich in den Blick. Gemessen an den Tagesgeschäften ist die Politik damit überfordert – mit Fragestellungen auf der Schwelle einer posthumanen Ära, in der nicht Steuerungsformen nach den Regeln tayloristischer Industrieproduktion, sondern nach Regeln wissensbasierter Organisationen die erforderte Inkonsistenzbewältigung versprechen. 
Friedrich E. Rakuschan


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