F.E. Rakuschan
Jeder Markt braucht Spekulanten
Genauso wie jede Krisenzeit ihre Rührgeschichten braucht. In der Regel beginnen sie mit dem Wort früher. Etwa wenn erzählt wird, dass sich früher die heute legendären Sammler ihre Kunstwerke nicht selten per Ratenzahlung gesichert haben. Ihre Leidenschaft für das Sammeln müsse als eine Art amour passion verstanden werden, was aktuell ehest noch in popkulturellen Dramen vorkommt. Denn in der Genese der modernen Semantik von Liebe kam es schon sehr viel früher, nämlich in der französischen Klassik, zur Kollision von plaisir einerseits und amour andererseits. Diese Differenz war zwar Voraussetzung dafür, um den Aufbau eines semantischen Codes für amour passion erst zu strukturieren, in der Sozialität kam es damit aber auch zum Anstoß des Problems der Täuschung.
So wie „die Umpolung des modernen Denkens von vorgefundenen Wesensunterschieden auf Differenzierung eine semantische Innovation gewesen ist, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts an Resonanz gewinnt“ (Luhmann 1997, 1145), werden dem Vergleichbares die computergestützten Formen des Beobachtens und Beschreibens in der „next society“ (Drucker 2001) leisten. Ihre „Kulturform“ (Luhmann 1997, 405 ff.; Baecker 2007, 10 ff.), die den selektiven Umgang von Überschusssinn in der nächsten Weltgesellschaft reguliert, wird aber noch viele Jahrzehnte an Findungsprozessen benötigen.
Lehren vor der Krise
Selbst wenn wir uns thematisch nur auf das soziale Funktionssystem Kunst beschränken wollten, kämen wir um die prinzipiell unfassbare Komplexität von Gesellschaft nicht herum. Bei einer adäquaten Beschreibung sozialer Phänomene dürfen wir weder kontextuell unterschiedlichen Ereignissen einen kausalen Zusammenhang unterstellen, noch aus Details auf Globalaussagen schließen. Der Ansatz ist keineswegs neu. Schon 1971 sagte Heinz von Foerster in einem Vortrag: „Mein Vorschlag lautet, das Fachwissen – und nicht die Methode der Reduktion -, das wir in den Naturwissenschaften erworben haben, zur Lösung der harten Probleme in den Geisteswissenschaften einzusetzen“ (Foerster 1993b, 163). Wir orientieren uns demnach an einer Theorie der differenzgesteuerten Kausalität, oder auch Kontingenzkausalität (Luhmann 1975, 150-169), die theorietechnisch produktiv zuerst einmal zu Beschränkungen führt. Diese Entscheidung, nicht zuletzt an die Adresse von trivialen Linken (im Unterschied zu nicht-trivialen) gerichtet, hat absolut nichts für oder gegen eine bestimmte Politik zu tun. Wir folgen weiter der Umstellung des traditionellen Erklärungsprinzips der Wissenschaft von Ursache und Wirkung auf sich wechselseitig bestimmende bzw. einschränkende Variablen (Foerster 1993b, 163). Damit wird Kausalität in das kybernetische Prinzip der zirkulären Erklärung integriert (Bateson 1981, 515 ff.) und in eine geschlossene Kausalität einerseits und in eine unbestimmte andererseits unterschieden (Baecker 2002b, 83-110). Die Einschränkungen ergeben sich prinzipiell aus der Voraussetzung von selbstreferentiellen Systemen und ebensolchen Sinnorientierungen von Systemen (Foerster 1981). Wir haben es also weiterhin mit Kausalitäten zu tun, keinesfalls aber mit sogenannten Durchgriffskausalitäten eines gesicherten Zusammenhangs von bestimmten Ursachen und Wirkungen, wo das selbstreferentiell operierende System nur als Mittel einer beabsichtigten Wirkung fungiert. Mit Konsequenz aus der holistischen (Teil/Ganzes), kybernetischen (Element/Relation) und konstruktivistischen (Operation/Schließung) Version des Systembegriffs, ist Komplexität vollständig als Differenz von Komplexitäten definiert. Das führt wiederum zu Denk- und Theoriemodellen, die in avanciertester Weise eine Integration von Systemtheorie und Evolutionstheorie herstellen (Kauffman 1993).
Der Vorteil daraus ist enorm. Die Ordnung der Dinge lassen sich von jeder Bindung an einen Ursprung ablösen und es wird nicht in Epochen unterschieden. Das geht allerdings nicht ohne dem neodarwinistischen Schema von Variation, Selektion und Restabilisierung. Entgegen allen logischen, wissenschaftstheoretischen und methodologischen Standards kausaler Erklärung, auch im Falle von Prognosen, wird als Leitschiene die „Paradoxie der Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinlichen“ (Morin 1977, 294 ff.) produktiv gemacht. Und anstatt sich weiter mit logisch ohnehin unbefriedigenden dialektischen Lösungen herum zu schlagen, werden mathematische Kalküle in Anspruch genommen, mit deren Temporalisierung sowohl Plausibilität als auch interne Konsistenz besser erfüllt werden kann (Spencer Brown 1972; Luhmann 1975, 1984, 1997; Baecker 2002a, 2007). Der Sachverhalt bspw., dass etwas neu ist, kann für seine Durchsetzung allein nicht genügen. Dieses Etwas muss zuerst einmal in einem System relationiert sein, das voneinander trennbare Mechanismen aufweist, damit relativ zufällige Variationen von diesem System für Strukturaufbau und Strukturumbau genutzt werden können (Luhmann 1997, 413-594). Immer dann wenn von Innovation die Rede ist, haben wir es vielmehr mit einer sich selbst anregenden kritischen Masse zu tun, in der jedes Element nur ist, indem es auf andere übergreift. Das gilt selbstverständlich auch für das Funktionssystem Kunst. Die Vorstellung von Ideenevolution reicht allein nicht für die Erklärung dessen, was wir Kunstgeschichte nennen. Im gewählten Theorierahmen stellt sich diese eher als Bewährung von komplexitätsgünstigen semantischen Erfindungen dar. „Erst die Auflösung der geschichtlich bedingten Form ermöglicht eine geschichtliche Erklärung“ (Luhmann 1980, 312).
Ergebnisse aus der interdisziplinären Forschung der letzten Jahrzehnte erfordern Konsequenzen für die Beschreibung von sozialen Prozessen. Mit anthropologischen Unterscheidungen von dem Menschen zu anderen Lebewesen - wie Verstand, Vernunft, Wille, Gefühl, Einbildungskraft oder Sittlichkeit - konnte schon lange ohne hinreichend neurophysiologischen Grundlagen keine interne Konsistenz erreicht werden. Heute wissen wir etwas mehr. Und nicht weiter überraschend, sind Hirnforscher wie Wolf Singer (Singer 2002, 2003) oder Gerhard Roth (Roth 2003) für die traditionellen Geisteswissenschaftler ein rotes Tuch. Ungeachtet der Wertschätzung für die Klassiker (Durkheim 1988; Simmel 1992; Weber 1990) erfordert ein prospektiver Analyseansatz einen radikal antihumanistischen, radikal antiregionalistischen und radikal konstruktivistischen Gesellschaftsbegriff. Nicht zuletzt weil seit 2003 eine brillante dezidiert philosophisch argumentierende Form diskursiver Selbstbegründung vorliegt (Schmidt 2003), wollen wir Letzteres besser Neuen Konstruktivismus nennen.
Die elementare Operation, die ein soziales System und ihre Teilsysteme produziert und reproduziert ist Kommunikation. Aber ohne den Begriff aus der Trivialisierung durch eine technizistische Übertragungstheorie einerseits und aus der Verharmlosung durch eine Konsenstheorie der Kommunikation (Habermas 1981) andererseits zu lösen, kann er nicht gesellschaftsadäquat entfaltet werden. In den avancierten Diskursen hat sich inzwischen der Vorschlag einer dreistelligen Architektur des Kommunikationsbegriffs etabliert. Kommunikation als „dreistelligen Selektionsprozess“ verstanden, der auch die dem Konstruktivismus zugrunde liegende Kernidee der Rekonstruktion von Bedeutung in der Kognition der Kommunikanten beinhaltet (Luhmann 1984, 193 ff.). Und gegen alle Widerstände gilt damit als evident, dass für die Analyse von gesellschaftlichen Phänomenen die Konzeption einer auf Kommunikation fundierten Gesellschaft ebenso unabdingbar ist, wie es für Erklärungen hinsichtlich dem Aufbau und der Reproduktion der Strukturen des Sozialsystems Gesellschaft die Evolutionstheorien sind.
Damit bekommen wir schon eine Vorstellung davon, dass die moderne Gesellschaft durch funktionale Autonomisierung und operative Schließung ihrer wichtigsten Teilsysteme charakterisiert ist; d.h. Korrelation von selbstreferentieller Geschlossenheit mit Offenheit für Umweltkomplexität (Luhmann 1984, 28 f.). Das Gesamtsystem Gesellschaft kann sich nicht durch operative Kontrolle zur Geltung bringen, sondern nur über strukturelle Auswirkungen ihrer Differenzierungsform auf die Teilsysteme, also durch funktionale Differenzierung als Primärdifferenzierung der Gesellschaft (kritisch dazu: Knorr-Cetina 1992; Nassehi 2004). Das System ist für sich selbst unkalkulierbar. Letzteres gilt mit Sicherheit auch für die „next society“ (Drucker 2001), die ebenso die verschiedenen Funktionssysteme mit ihren je eigenen Wertpräferenzen benötigen wird, aber die Gleichgewichtsfigur des Modus wie in der modernen Gesellschaft könnte der Orientierungsfigur des Nächsten in der Next Society Platz machen (Baecker 2007, 8 f.). Denn die Next Society „wird sich nicht mehr auf die soziale Ordnung von Status und Hierarchie und auch nicht mehr auf die Sachordnung von Zuständen und ihren Funktionen verlassen“, sondern eine „ökologische Ordnung“ sein (Baecker 2007, 8-9). Um Missverständnissen vorzubeugen, Ökologie heißt hier, „dass man es mit Nachbarschaftsverhältnissen zwischen heterogenen Ordnungen zu tun bekommt, denen es an jedem prästabilierten Zusammenhang, an jeder übergreifenden Ordnung, an jedem Gesamtsinn fehlt“ (Baecker 2007, 9). Im Sinne der Formidee von George Spencer Brown (Spencer Brown 1972) könne in einer solchen Ökologie, so Baecker, Form nur noch als etwas verstanden werden, das rekursive Selbstreferenz mit einem Wissen um die Intransparenz der Verhältnisse zu kombinieren imstande ist. Und: „Die Kunst hat dies vorgedacht, indem jedes Kunstwerk sich etabliert, indem es dokumentiert, wie es mit von ihm unkontrollierbaren Umständen dennoch zurande kommt“ (Baecker 2007, 9). Das Kompliment ist aber nicht ohne der Einsicht zu haben, dass nicht zuletzt die Kunst immer wieder versucht, Welt in eine Form zu bringen, aber mit jedem Formversuch die Welt erneut verdeckt (Bunsen et al. 1990). Oder mit den Worten der Second Order Cybernetics ausgedrückt: So kann der Beobachter sehen, dass das beobachtete System nicht sehen kann, dass es nicht sehen kann, was es nicht sehen kann (Foerster 1993c, 84-91, 1981, 1979). Auf dieser Grundlage hat die moderne Kunst, angetrieben von der Unruhe der Moderne, immer weiter nach Formen der Semantik geforscht, um auszuprobieren, wie diese damit zurechtkommen.
Für die Diskurse der avancierten Systemtheorie gilt die Welt als „unwritten cross“ (Spencer Brown 1972, 7; Baecker 2002a). Die Welt muss demnach bei allen Anforderungen an Beobachtung (Parsons 1951; Luhmann 1976, 1984, 1992, 1997 usw.; Foerster 1985; Spencer Brown 1972) als unbeobachtbar akzeptiert werden. Deshalb versteht sich die Systemtheorie nicht als eine Welttheorie. Als intelligent wird in der Next Society all das Geltung haben, was Wissen und Nichtwissen in unmittelbare Nachbarschaft bringt (Luhmann 1992; Krämer 1998; Baecker 2007; Esposito 2008).
Der Kunstmarkt ist ein globaler Marktplatz mit neuen Sammlern aus aufstrebenden Volkswirtschaften
Alle Debatten über Kunst erweisen sich als unerheblich, so sie nicht zur Voraussetzung haben, dass es sich im Falle von Kunst zum einen um ein soziales Konzept handelt und das zum anderen als modern oder zeitgenössisch nur plausibel gemacht werden kann, wenn wir die Vorstellung aufgeben, die Gesellschaft bestehe aus Menschen. Denn solange Schemata der Stratifikation oder Zentrum/Peripherie-Differenzierung – mit ihrer noch möglichen Zuordnung von Menschen auf Teilsysteme - weiterhin auf die moderne Gesellschaft angewendet werden, kann ihre Besonderheit und ihre Eigenwerte nicht begriffen werden. Wer würde allen ernstes bestreiten, dass bspw. Künstler/innen nicht nur am Kunstsystem teilnehmen, sondern ebenso am Erziehungssystem, an der Wirtschaft, der Politik, am Recht usw. Daran ändert auch nichts die Bedingung, dass die Teilhabe von psychischen Systemen an allen Funktionssystemen nur in komplexen sozialstrukturellen Verhältnissen möglich ist, in einer mehrfach verschränkten Relationierung von Aktanten, Kognition, Medien, Kommunikation Kultur usw. (Schmidt 2003). Dieses zirkuläre Verhältnis zwingt zu der Einsicht, dass sich in der funktional differenzierten modernen Gesellschaft die Menschen nirgendwo unterbringen lassen (Luhmann 1997, 744 f.). Aber gerade Differenzerfahrungen dieser Art, man denke etwa an die dahingehende Themenvielfalt in der modernen Kunst, hat die Vorstellung von der Eigenständigkeit des Individuums als Bezugspunkt selbstreferentieller Autonomie geprägt. Die Aufwertung des Individuums zum Subjekt, d.h. zum sich selbst begründeten Apriori der Welt, hatte Differenzerfahrungen spezifischer Art organisiert, die zwangsläufig von unerfüllten Ansprüchen geprägt waren. "Die historische Fixierung des Problems am sich über sich selbst aufklärenden Subjekt und seinen Gegnern verhindert eine hinreichend scharfe abstrakte Analyse der Paradoxieprobleme selbstreferentieller Systeme" (Luhmann 1996, 89).
Die Konsequenz daraus heißt, Menschen sind als Teil der Umwelt der Gesellschaft zu verstehen. Die Reproduktion von Kommunikationen aus Kommunikationen findet in der Gesellschaft statt, aber alle weiteren Bedingungen – seien sie physikalischer, chemischer, organischer, neurophysiologischer oder mentaler Art - sind Umweltbedingungen. Die Umwelt weist im Vergleich zum System in jedem Fall eine höhere Komplexität und eine geringere Ordnung auf. Das ermöglicht dem Menschen sein Freiheitsspektrum zu erweitern. „Insbesondere Freiheiten zu unvernünftigem und unmoralischen Verhalten. Er ist nicht mehr Maß der Gesellschaft. Diese Idee des Humanismus kann nicht kontinuieren“ (Luhmann 1984, 289). Das bedeutet nicht, dass der Mensch in den spezifizierten Modellen der Komplexitätstheorien (Mitchell 2008) einen geringeren Stellenwert einnimmt als in älteren Denktraditionen. Der Unterschied zu früher liegt in der Sensibilisierung für Komplexität, die die via Apriorisierung und Ideologisierung reduktionistisch erschlossenen Semantiken aus der Vergangenheit zunehmend verblassen lässt. Mit dem Paradigmenwechsel handeln wir uns fraglos eine Fülle von Irritationen ein. Etwa mit der Einsicht, dass sich auch soziale Systeme in den Zustand „selbsterzeugter Unbestimmtheit“ versetzen (Foerster 1993a, 247 ff.), und wir mithin akzeptieren müssen, dass wir Effekte nur nachträglich registrieren und immer erst im Nachhinein darauf reagieren können. Das ist schon ein Erklärungsansatz dafür, dass in allen sozialen Bereichen de facto nur Kalküle ohne Garantie auf das Erfolgsziel ins Spiel gebracht werden können. Auch dort, wo von Planung die Rede ist und damit bloß das teleologische Versprechen einer Zweck-Mittel-Ordnung der Welt beschworen wird.
Wir interessieren uns hier nicht für Differenzen etwa von Subjekt und Objekt und keinesfalls für ontologische Differenzen wie Sein und Schein. Wenn wir von Differenz reden, dann nur im Anschluss an den Sinnbegriff, mit der Prämisse, dass Sinn nur auf Grund einer konstitutiven Differenz erfahren werden kann. Indem an jedes Sinnerleben weiteres Erleben oder Handeln anschließen muss, wird Differenz erst durch die Zeitdimension zur Differenz (Derrida 1990). Demnach handelt es sich hier um die Differenz eines Überschusses an Möglichkeiten, dem eine Wirklichkeit eines jeden Sinngebrauchsverhaltens gegenüber steht. Am Beispiel der Genese der modernen Semantik von Liebe, ist plaisir prinzipiell kriterienlose Selbstreferenz und es geht letztlich einzig darum, wie jedes Gesellschaftsmitglied nach den Formenvorschriften von Kulturprogrammen und entsprechend sozialen Interaktionen damit zurandekommt. In der Genese der modernen Semantik von Liebe führte das Problem der Täuschung zur Frage nach der wahren und falschen Liebe, denn die Differenz in den Möglichkeiten des amour ist ja die Differenz des amour zum plaisir, was auch die Differenz der Preziösen und der Libertins einschließt (Luhmann 1982).
Wie das für das Verstehen von Funktionssystemen konzipierte Schema von Code, Programm, Medium und Funktion (Reese-Schäfer 2000, 153) zeigt, wird auch im Kunstsystem die Kopplung interner und externer Referenzen über einen binären Code selbstreferentiell geregelt. Kommunikation im Freiraum der Autopoiesis (Benseler et al. 1980) des Kommunikationssystems Gesellschaft beinhaltet die Option, Kunstwerke auch unter dem Aspekt von property rights zu verhandeln. Beteiligte, die etwas haben (Geld oder Waren) und etwas anderes nicht (Waren oder Geld), genügen für die Voraussetzung jeder Transaktion. Wenn wir die Unterscheidung, Diskurs (Selbstreferenz) einerseits und Markt (Fremdreferenz) andererseits ausprobieren, dann steht der Code Haben/Nichthaben orthogonal zur Unterscheidung von Selbst- und Fremdreferenz. Die Reflexion auf den impliziten Kontext, also auf das „unwritten cross“ (Spencer Brown 1972, 7) - das zugleich schwache „re-entry“ der Unterscheidung von System und Umwelt in ihren eigenen Raum der Unterscheidung -, bedeutet zugleich Kontingenzsteigerung mit einem Mehr an Chancen und Risiken. So wie das Kommunikationssystem Gesellschaft als Oszillation zwischen diversen Faktoren vorzustellen ist, oszillieren auch Kunstwerke immer schon zwischen der doppelten Abstraktion von Symbolwert und Marktwert; das eigentliche Thema der Abstraktion in der Bildenden Kunst. Und weil das Kunstsystem im Unterschied zu anderen Funktionssystemen nicht übermäßig zentralisiert ist, hat es mehr Möglichkeiten sowohl für systeminternes „decoupling“ (Meyer/Scott 1983) von verschiedenen strukturellen Komponenten, als auch für ein generelles „loose coupling“ (Firestone 1985) im Verhältnis von evolutionären Mechanismen wie Variation, Selektion und Stabilisierung (Campbell 1988) zueinander. Fallweise kommt es auch zwischen prinzipiell strikt voneinander getrennten Funktionssystemen zu strukturellen Kopplungen. Lokale Kontiguität ändert aber nichts an ihrer je funktional operativen Geschlossenheit. Das Kunstsystem kann weder zum Wirtschaftssystem mutieren, noch das eine für das andere einspringen. Das gilt für alle „denkbaren Intersystemrelationen“ (Luhmann 1986, 207). Aber schon heute gibt es Anzeichen für die Vermutung, dass sich unter dem Aspekt einer „ökologischen Ordnung“ (Baecker 2007, 9) in der Next Society auch das Verhältnis zwischen den Funktionssystemen ändern wird (müssen). Nicht oder, sondern nichts und alles wäre damit gewonnen. Und immerhin, „ein strenger Konstruktivismus, ein wacher Realismus und die Fähigkeit, die Welt als ihren eigenen Traum zu begreifen“ (Baecker 2002a, 19).
Literatur
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